Egon Schiele: “Ich werde für die Kunst und meine Geliebte ausharren“ (25.4.1912), Detail, Gefängniszeichung, Bleistift und Aquarell auf Strathmore-Japanpapier, 31,8 x 48,2 cm (Albertina, Wien).

Über dieses Werk

Die so genannte Neulengbach-Affäre 1912 traf Egon Schiele völlig unvorbereitet. Am 13. April wurde er wegen Entführung und Missbrauch der Dreizehnjährigen Tatjana Georgette von Mossig (23.6.1898 – 22.7.1951)inhaftiert. Wenn auch von der ursprünglichen Anklage wenig übrig bleib, so wurde Schiele doch zu 24 Tagen Haft wegen Präsentierens einer unsittlichen Zeichnung in der Öffentlichkeit verurteilt. Schiele hatte im Schlafzimmer seiner Wohnung ein Blatt an die Wand gepinnt, das den Zorn des Richters auf sich zog. Während der Inhaftierung gestaltete Egon Schiele zwischen dem 19. und 27. April 1912 insgesamt dreizehn aquarellierte Zeichnungen. Schieles Lieblingsmodell und seine Lebensgefährtin Wally Neuzil brachte ihm Bleistift und Aquarellfarben in die Haft (→ Wally Neuzil – Ihr Leben mit Egon Schiele), Gouache konnte er erst nach seiner Entlassung einsetzen. Von den „Gefängniszeichnungen“ besitzt die Albertina in Wien zehn Blätter, auf denen seine Gefängniszelle in Neulengbach, der Gang mit Besen und Waschtrögen, die verschlossene Gefängnistür mit Blick auf Bäumen, Sessel, Taschentücher und schlussendlich sich selbst, die er mit Botschaften betitelte: „Den Künstler hemmen ist ein Verbrechen, es heisst keimendes Leben morden!“ (23.4.1912), „Gefangener!“ (24.4.2912), „Ich werde für die Kunst und meine Geliebte ausharren“ (25.4.1912), „Mein Wandelweg führt über Abgründe“ (1912). Ob die aquarellierte Zeichnung „Triestiner Fischerboot“ (1912, Albertina, Inv. 31028) ebenfalls im Gefängnis entstanden ist, wie Arthur Roessler 1922 im so genannten Tagebuch Schieles („Egon Schiele im Gefängnis“) behauptete, ist strittig. Es wäre möglich, dass sie auch während des Sommeraufenthalts 1912 am Meer gemeinsam mit Zeichnung „Dampfer und Segelboote im Hafen von Triest“ (1912, Albertina, Inv. 31121) entstanden ist, weshalb sie in der aktuellen Ausstellung auch erst im folgenden Raum präsentiert wird.Über Egon Schiele

Über Egon Schiele

Egon Schiele (1890 – 1918) war erst 28, als er an der Spanischen Grippe starb, doch das umfangreiche Werk, das er hinterließ, übte auf die Kunstnachwelt einen enormen Einfluss aus und verstört Betrachter noch heute. Sen Stil wurde als provokativ, oft als pornografisch verschrienen, der die Wiener Gesellschaft schockierte und einige der eindringlichsten Porträts der Kunstgeschichte schuf. Sein Gesamtwerk umfasst 245 Gemälde und ca. 2000 Zeichnungen und Gouachen.

Egon_Schiele_-_Liegender_Akt_mit_schwarzen_Strümpfen_(1911)

Egon Schiele: “Liegender Akt mit schwarzen Strümpfen”, 1911, (Tatjana Georgette von Mossig). Hier angeboten als Kunstdruck.Preis auf Anfrage

Egon Schiele, Liegendes junges Mädchen, 1911, Aquarell und Gouache,über Bleistift auf Papier

Egon Schiele: ‘Liegendes junges Mädchen’, 1911, Aquarell und Gouache,über Bleistift auf Papier. (Tatjana Georgette von Mossig). Hier angeboten als Kunstdruck.Preis auf Anfrage

Egon Schiele, Traumbeschaute, 1911____________________________________________________________
Egon Schiele:“Die Traumbeschaute”, 1911. Kunstdruck. Copyright © Art Galerie Nolden/H – Berlin. Preis auf Anfrage

Das Aquarell „Die Traumbeschaute“ ist ein Stück expressiver Erotik aus einer Mappe, die Egon Schiele im Auftrag des Kunsthändlers Karl Grünwald fertigte. Das Blatt gehört heute dem Metropolitan Museum im liberalen New York, ist diesem Museum mit zahlreichen anderen Bildern gestiftet worden, wird dort aber nicht ausgestellt. Bei der ‘Traumbeschauten‘ träumt eine junge Frau, dass ihr Geliebter kommt und mit ihr verkehren wird. Sie ist überaus erregt dargestellt. Mit beringten Fingern spreizt sie ihre Schamlippen, ihre Brustwarzen sind steif. Hier hat Schiele einen erotisch-sexuellen Traum umgesetzt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die sexuellen Motive in der Malerei eindeutiger und bald brachen alle Dämme: Klimt, Schiele und Picasso malten pornografische Fantasien, und die Surrealisten rebellierten gegen die bürgerliche Moral – und wurden so zu Wegbereitern von Warhol & Co.

Egon Schiele: “Liegende Entblößte”, 1916. (In Zusammenhang mit dem Bild “Liegende Frau”). Gouache, Wasserfarbe und Bleistift auf Papier, 30,8 × 44,5 cm. Hier angeboten als Kunstdruck Egon Schiele: “Liegende Entblößte”, 1916. (In Zusammenhang mit dem Bild “Liegende Frau”). Gouache, Wasserfarbe und Bleistift auf Papier, 30,8 × 44,5 cm. Hier angeboten als Kunstdruck.Preis auf Anfrage

Egon Schiele, Sitzender weiblicher Akt mit aufgestützten Ellbogen, 1914, Bleistift, Deckfarben, auf Japanpapier (Albertina, Wien)

Egon Schiele: ‘Sitzender weiblicher Akt mit aufgestützten Ellbogen’, 1914, Bleistift, Deckfarben, auf Japanpapier (Albertina, Wien). Hier angeboten als Kunstdruck.Preis auf Anfrage

Egon Schiele, Sitzende Frau mit hochgeschobenem Kleid, 1914, Bleistift, Aquarell, Deckfarben mit proteinhaltigen Bindemitteln, auf Japanpapier (Albertina, Wien)

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Egon Schiele:”Sitzende Frau mit hochgeschobenem Kleid”, 1914, Bleistift, Aquarell, Deckfarben mit proteinhaltigen Bindemitteln, auf Japanpapier (Albertina, Wien). Hier angeboten als Kunstdruck.Preis auf Anfrage

Nicht nur die Surrealisten erhoben zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Liebe, den Eros zum Ursprung ihrer Kunstwelt. Der Sex bestimmte die Moderne von den Anfängen bis zu den Ausläufern. Und wo anders sollte sich das derart manifestieren wie in den Städten der Liebe und des Verdrängens, in Paris und in Wien um 1900, wo Sigmund Freud mit seiner Traumdeutung nicht zuletzt auch den Künstlern den Weg ins Unbewusste, ins Es öffnete, wo Eros und Thanatos ihre Kämpfe miteinander austragen. Sein 1899 erschienenes Buch “Die Traumdeutung” gilt noch heute als Standardwerk der Psychologie und beeinflusste die Künstler jener Zeit, nicht nur im Wien der Jahrhundertwende, wo Freud als Nervenarzt praktizierte, sondern auch die Surrealisten in Paris, die seine Traumanalyse zur künstlerischen Methode erhoben. Seither haben wir gelernt, Kirchtürme und Schlangen als phallische, offene Türen oder Pelz als Symbole des weiblichen Geschlechts zu lesen. Derartige Verschlüsselungen haben die beiden führenden Wiener Künstler dieser Zeit allerdings gar nicht erst angestrengt: Gustav Klimt und Egon Schiele sorgten mit ihren offenherzigen Werken für Skandale. In den Ateliers beider scheinen die Modelle Masturbationsmarathons abgehalten zu haben, blickt man auf die unüberschaubare Zahl hinterlassener erotischer Blätter. 4000 sind alleine von Klimt bekannt! Meist sind die Frauen in einem passiven Schlaf- oder Dämmerzustand dargestellt, ihr Geschlecht entblößt. Als “Inszenierung eines männlichen Blicks auf die Frau”, kritisierte Klimt-Biograf Gottfried Fliedl diese Zeichnungen.

Egon Schiele: "Mädchen in schwarzem Kleid mit gespreizten Beinen", 1910 © Leopold Museum, Wien. Kunstdruck oder Leinwanddruck

Egon Schiele: “Mädchen in schwarzem Kleid mit gespreizten Beinen”, 1910 © Leopold Museum, Wien. Kunstdruck oder Leinwanddruck.Preis auf Anfrage

Es gab aber auch Männer, die recht handgreiflich gegen “solche Attentate” gegen das Anstandsgefühl vorgingen: Ein Richter verbrannte 1912 während des Prozesses gegen Egon Schiele wegen Pädophilie im Gerichtssaal eine der beschlagnahmten Zeichnungen. Schiele saß schließlich nicht wegen des nicht nachweisbaren Kindesmissbrauchs, sondern wegen “Verbreitung unsittlicher Zeichnungen” 24 Tage im Gefängnis. Dabei erzählen diese Zeichnungen mehr vom Leid als von der Lust, vom quälenden Trieb und von der Vergänglichkeit des Körpers.

Egon Schiele: ‘Liegende Frau mit grünen Hausschuhen, 1917.Kunstdruck. Copyright © Art Galerie Nolden/H. Preis auf Anfrage

Egon Schiele, 1890–1918. “Die rote Hostie”, 1911. Bleistift und Aquarell, 48,2 × 28,2 cm.

Egon Schiele:“Die rote Hostie”, 1911, Bleistift und Aquarell, 48,2 × 28,2 cm. Privatsammlung. Hier angeboten als Kunstdruck.Preis auf Anfrage

Egon Schiele: "Selbstbefriedigung", 1911. _____________________________________________________________

Egon Schiele: “Selbstbefriedigung”, 1911. Kunstdruck. Copyright © Art Galerie Nolden/H – Berlin. Preis auf Anfrage

Anders als vom Erotomanen Klimt, von dem gar kein Selbstporträt existiert, hat sich der junge Wilde Egon Schiele 1911 gleich bei der Selbstbefriedigung verewigt. Von hier aus ist eine direkte Linie zu den Wiener Aktionisten 50 Jahre später zu ziehen – wobei diese dem Sexuellen eine weitere, politische Bedeutung zustanden: So verzichteten sie aus Protest gegen den auf Produktivität versessenen, patriarchalen Kapitalismus meist auf die Einbeziehung erregter Geschlechtsteile.

Dieses 1911 datierte Blatt schließt thematisch und stilistisch an eine umfangreiche Gruppe männlicher Aktstudien Egon Schieles aus dem Jahr 1910 an, als deren Modell mit größter Wahrscheinlichkeit der Künstler selbst auszumachen ist. Das zeichnerische und das malerische Element halten darin einander die Waage. Die graphisch-lineare Darstellung als Erbe der secessionistischen Flächenkunst geht eine gelungene Symbiose mit der Farbgebung ein, die Schieles Entwicklung zum Aquarellisten widerspiegelt. Ein scharfer Bleistiftstrich definiert die Form auf dem leeren Hintergrund, die durch eine zarte Kolorierung betont wird. Nur an einigen Stellen unterstützen kräftige Pinselstriche die Kontur und heben so den Körper von der Bildfläche ab. Motivisch gilt das Hauptaugenmerk des Künstlers dem Rumpf und den gespreizten Beinen mit dem ebenfalls farblich akzentuierten Geschlecht, während der in die rechte untere Bildecke herabhängende Kopf als einzige Körperpartie von der Aquarellierung ausgenommen wird und sich auch kompositionell in Bedeutungslosigkeit verliert.

Egon Schiele "Sitzender schwangerer Akt" Aquarell und schwarze Kreide auf Papier, 1910

Egon Schiele:” Sitzender, schwangerer Akt”, 1910, Aquarell, Kreide und Deckfarben. Kunstdruck. Copyright © Art Galerie Nolden/H – Berlin. Preis auf Anfrage

Für den mit nur 28 Jahren verstorbene Egon Schiele war der Akt die größte Quelle der Inspiration. Seine erotischen Zeichnungen, für die er zu Lebzeiten noch verurteilt wurde, zählen heute zu den Ikonen der erotischen Kunst. Seit der Barockzeit gab es in der europäischen Kunst immer wieder erotische Darstellungen, die zunächst ausschließlich für den privaten Bereich gedacht waren. Erst im 20. Jahrhundert wurden solche Bilder öffentlich gezeigt, was zunächst – wie im Fall Schiele – noch auf große Empörung stieß. Schieles weiblichen Akte sind oft gebrochen von puppenhaft anmutenden Gesichtern, er gilt als Pionier seiner Zeit und als einer der größten Zeichner des 20. Jahrhunderts. Seine Werke zu zentralen Bereichen unseres Lebens, zu Erotik, Sexualität und Tod, waren im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts ein Skandal. Doch schuf Schiele neben seinen ungeschönten Aktdarstellungen auch psychologisch einfühlsame Bildnisse, in denen er das innerste Wesen der Porträtierten ergründete.

Egon Schiele - Mädchenakt mit verschränkten Armen - 1910

Egon Schiele: ‘Mädchenakt mit verschränkten Armen’ – 1910,Kunstdruck. Copyright © Art Galerie Nolden/H – Berlin. Preis auf Anfrage

Egon Schiele:"Liegender Akt mit angezogenen linken Bein", 1914

Egon Schiele:”Liegender Akt mit angezogenen linken Bein”, 1914. Kunstdruck Copyright © Art Galerie Nolden/H – Berlin. Preis auf Anfrage

Diese Aktzeichnung, in der Adele Harms, die Schwester von Schieles Frau, zu erkennen ist, spielt die Identifizierung der realen Person keine entscheidende Rolle. Dass dies durchaus im Sinne des Künstlers war, zeigt der Umstand, dass er nach Auskunft seiner Schwägerin „in diesen besonderen Darstellungen aus Rücksicht auf seine Frau deren Gesicht verfremdet“ habe. Der liegende Frauenakt mit aufgestecktem Haar in hochhackigen Schuhen taucht in Schieles letzten beiden Lebens– und Schaffensjahren häufig auf. Gegenüber dem nervösen expressiven Stakkato und den angularen Gliedmaßen der früheren ausdrucksintensiven Arbeiten ist die Linienführung jetzt abgeklärter und souveräner. In der mit ruhigem, sicherem Strich auf die Bildfläche gesetzten Großform schlägt als Erbe des Jugendstils das Primat des Lineaments aus Schieles secessionistischen Anfängen durch. Unter Verzicht auf jegliche Modellierung sorgt allein der Kontur für die plastische Erscheinung der schwellenden Körperformen. Lediglich in Details, wie dem Gekräusel der Schamhaare, der Frisur oder dem Schuhwerk kommt eine mehr ornamental als sachlich wirkende Binnenzeichnung zur Anwendung.

In der großen Symphonie der Mädchen- und Frauenakte nimmt diese in sich ruhende Figur eine kammermusikalische Stellung ein. Sie hat nichts von jener provozierenden Obszönität der pubertären Proletariermädchen, die Schiele einen Gefängnisaufenthalt von vierundzwanzig Tagen im Bezirksgericht Neulengbach eingebracht haben wegen „Benutzung von minderjährigen Modellen“und wegen “Verbreitung unsittlicher Zeichnungen” noch von jener unerlösten Sexualität der Einzel- und Gruppenakte, die heute fast neunzig Jahre nach Schieles Tod (1918) als Höhepunkte expressionistischer Ausdruckskunst so besonders geschätzt und gesucht werden. Als Hintergrundmusik zu diesem Blatt könnten wir uns eher Schubert-Töne als solche von Arnold Schönberg oder Kurt Weil vorstellen, seinen Zeitgenossen.

Egon Schiele, weiblicher Akt, 1910

Egon Schiele, Weiblicher Akt, 1910.Kunstdruck. Copyright © Art Galerie Nolden/H – Berlin.Preis auf Anfrage

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Literatur: Jane Kallir: Egon Schiele: The Complete Works, Expanded Edition 1998. Katalog zur Ausstellung der Österreichischen Galerie Belvedere im Musée d’Ixelles und in der Stadtgalerie Klagenfurt: Österreichischer Expressionismus – Malerei und Graphik 1905–1925, Blondé Artprinting Int. 1998.